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Thema: [Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy (412-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema
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[Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy

David Bowies Besuch in Gugging im Jahr 1994 war ein außergewöhnliches Zusammentreffen zwischen einer Musikikone und einer Gemeinschaft künstlerisch tätiger Patienten einer psychiatrischen Klinik. Gugging, eine Einrichtung in der Nähe von Wien, ist bekannt für seine „Art Brut“-Künstler, also Menschen mit psychischen Erkrankungen, die autodidaktisch Kunst erschaffen – oft roh, expressiv und unverfälscht von akademischen Kunsttraditionen. Bowie und sein langjähriger Kollaborateur Brian Eno suchten in diesem Umfeld nach neuer kreativer Energie, da die Arbeit an "Outside"ins Stocken geraten war.

"Outside", das 1995 erschien, ist eines von Bowies ambitioniertesten und düstersten Alben, ein avantgardistisches Werk, das sich mit Themen wie Wahnsinn, Kriminalität und einer dystopischen Zukunft beschäftigt. In vielerlei Hinsicht knüpfte Bowie damit an seine frühen experimentellen Phasen aus den 1970ern an, insbesondere an "Diamond Dogs" und "Low". Das Album erzählt eine lose Geschichte über einen fiktiven Detektiv namens Nathan Adler, der in einer verstörenden Welt Kunstverbrechen untersucht – eine Welt, in der die Grenzen zwischen Kunst und Wahnsinn verschwimmen.

Die Begegnung mit den Künstlern von Gugging bestärkte Bowie in seiner Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen und kreativer Außenseiterkunst. Die rohe, ungefilterte Ausdrucksweise der dort lebenden Künstler passte gut zu seiner Ästhetik der 1990er, in der er verstärkt mit Dekonstruktion, Noise und Cut-up-Techniken arbeitete. Ihr Einfluss lässt sich nicht nur in der Musik, sondern auch im Coverdesign und in den visuellen Konzepten rund um "Outside" wiederfinden.

Die Beschäftigung mit Schizophrenie und psychischen Krankheiten hatte für Bowie eine tief persönliche Dimension. Sein Halbbruder Terry Burns litt an paranoider Schizophrenie und war über Jahre hinweg in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht. Terry, der Bowie schon früh für Jazz und Beat-Literatur begeisterte, nahm sich 1985 das Leben, indem er sich vor einen Zug warf. Diese Tragödie verarbeitete Bowie in mehreren Songs, unter anderem in "Jump They Say". Sein Interesse an Psychiatrie war also nicht nur intellektuell oder künstlerisch motiviert, sondern auch von biografischer Schwere.



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Uwe Schüttes „Sternenmenschen“

In "Sternenmenschen" rekonstruiert Uwe Schütte dieses entscheidende Kapitel in Bowies künstlerischer Entwicklung. Schütte, der selbst zur gleichen Zeit regelmäßig die Künstler von Gugging besuchte, verbindet in seinem Buch Biografien der dortigen Künstler mit der Entwicklungsgeschichte von "Outside". Dabei geht er auch auf die breitere Frage ein, wie Kunst und Wahnsinn in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden. Die Künstler von Gugging gelten als Genies außerhalb des etablierten Kunstbetriebs, ihre Werke sind mittlerweile international anerkannt, doch das Stigma psychischer Erkrankungen bleibt bestehen.

Ein zentrales Thema des Buches ist die Unberechenbarkeit des Lebens und wie Kunst und Musik helfen können, mit existenziellen Brüchen umzugehen. Bowie selbst betrachtete sich oft als eine Art künstlerischen Außenseiter, der zwischen verschiedenen Identitäten oszillierte. Seine Faszination für Außenseiterkunst war keine oberflächliche Pose, sondern ein tieferliegendes Interesse, das seine Musik immer wieder beeinflusste.

Reinhold



Antw.: [Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy

Antwort #2
Buchpräsentation: „Sternenmenschen – Bowie in Gugging“

So, 1. Juni 2025, 15:00 Uhr
Der Besuch der Veranstaltung ist im Rahmen des Museumseintritts kostenlos.
Um Anmeldung wird gebeten: [email protected]


Am 8. September 1994 besuchte David Bowie gemeinsam mit Brian Eno auf Einladung von André Heller das Haus der Künstler in Gugging, um sich Inspiration für sein Album „1. Outside“ zu holen. Begleitet wurden sie von der kürzlich verstorbenen Fotografin Christine de Grancy, welche diese Begegnungen mit den Gugginger Künstlern in intimen, aber auch respektvollen Aufnahmen festhielt.

In seinem neuen Buch rekonstruiert Uwe Schütte die komplizierte Entstehung dieses Ausnahme-Albums und spürt dabei den Biografien von August Walla, Oswald Tschirtner, Ernst Herbeck oder Johann Garber nach. Er beleuchtet die biografischen Hintergründe für David Bowies Interesse an Gugging, nämlich seine komplizierte Beziehung zum Halbbruder Terry Burns, der an Schizophrenie litt und sich in der Psychiatrie das Leben nahm.

Uwe Schütte, der den Star David Bowie ebenso wie die Gugginger Künstler als soziale Außenseiter als “Sternenmenschen” versteht, präsentiert sein Buch nun an den Orten des Geschehens. Dabei spricht er unter anderem über Bowies Kunstsammlung und den Einfluss von Gugging auf dessen eigene Kunst, sowie über die Schizophrenie als Motiv in Bowies musikalischem Werk.



https://www.museumgugging.at/de/programm/buchprasentation-sternenmenschen-bowie-in-gugging/46700

Reinhold

Antw.: [Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy

Antwort #3
Gerade ausgelesen – und völlig begeistert: Uwe Schüttes „Sternenmenschen“

Ich bin noch ganz elektrisiert: Gestern den letzten Absatz verschlungen, ich will unbedingt meine Eindrücke dalassen. :-)

Schütte liefert kein bloßes Sachbuch, keine Bowie-Biografie, sondern ein Kaleidoskop, das Outside, die sagenumwobenen Leon-Tapes und Bowies Abstecher in die Psychiatrie Gugging so kunstvoll verschränkt, dass man meint, selbst durch dieses Labyrinth zu stapfen – überall Spiegel, Stolperfallen, Geheimgänge.

1. Mythos Outside entwirrt
Schütte räumt gleich mit dem Dauergerücht auf, Outside sei direkt in Gugging geboren. Falsche Spur! Der echte „Art-Brut-Schock“ steckt vielmehr in den chaotisch-unheimlichen Leon-Sessions. Das Album "Outside" übersetzt diese Rohenergie dann in relativ klassische Song-Architekturen – Pop auf der Rasierklinge.

2. Gugging – Himmel über Glashaus, Hölle darunter
Schütte beschreibt die Klinik als doppelstöckigen „Zauberberg“: unten Pflegeheim, oben cooler Museumswürfel. De Grancys Fotos in betörenden Schwarz-Weiß-Kontraste, Bowie mittendrin, wie er mit Kohle kritzelt und gleichzeitig zuhört.

3. Kernfakten für Nerds
  • Release: 25. 09. 1995 · längstes Bowie-Werk
  • Formate: MC, CD, gekürzte 2-LP (Excerpts) – uncut Vinyl erst 2015
  • Peaks: UK #8 / US #21
  • Bowie-Selbstlob: „Mein bestes Stück Arbeit.“ – Nach der Lektüre will ich widersprechen? ;-)

4. Leon = Sonic Art Brut
30 Stunden freies Pandämonium: Stimmen, Drone, Horror-Skizzen. Zwei Bootlegs geistern noch durch die Netze – Schütte analysiert sie wie ein Kriminalist und zeigt, warum Eno sie am liebsten anonym veröffentlicht hätte.

5. Bowies Kunst-Seite „Art’s Filthy Lesson“ live & in Farbe
  • 1995: Ausstellung „New Afro-Pagan“ in der Cork Street
  • Minotaurus-Gemälde, Band-Porträts
  • Essays in Modern Painters, Interviews mit Hirst/Emin/Koons
  • 1998: Nat-Tate-Hoax als fatale Markt-Satire – Sotheby’s fällt prompt darauf herein.

6. Traumprojekte, die verglühten
2. Contamination, 3. Afrikaan, CD-ROM, Wilson-Marathon in Salzburg – alles verdampft, weil Bowie irgendwann murmelte: „Mir fehlt die Geduld.“ Die Skizzen allein lassen einem schon das Wasser im Mund zusammenlaufen!

7. Eno-Mantra: Prozess schlägt Produkt
Schütte zeigt meisterhaft, wie Bowies barocke Klangwucht ständig gegen Enos Minimal-Askese knirscht. Das Resultat ist dieses „beautiful muddle“, das uns bis heute nicht loslässt.

Mein Fazit nach 300 Seiten:

Dieses Buch ist wie eine zusätzliche Spur auf dem Outside-Master: Man hört Bekanntes neu, entdeckt versteckte Stimmen und begreift, warum Bowie das Kunstsystem gleichzeitig umarmte und entlarvte. Wer Outside liebt, wer beim Gedanken an die Leon-Bootlegs Gänsehaut bekommt, wer Bowies Kunst-Seite tiefer verstehen will – bitte lesen! Und dank De Grancys Fotos kann man beim Umblättern fast spüren, wie der Grafit unter Bowies Fingern knirscht.

Kurz: Sternenmenschen hat mich umgehauen. Ganz große Empfehlung.

Amazon-Link: https://amzn.to/3FEzMAW

Reinhold




Antw.: [Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy

Antwort #4
Zitat
wie Bowies barocke Klangwucht ständig gegen Enos Minimal-Askese knirscht
😂😂😂

Hab 's gerade erst auf dem Lesetischlein liegen... aber das macht Appetit!

gruß, Z

Antw.: [Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy

Antwort #5
Klingt toll. Danke Reinhold! 🙏

Ich liebe Outside!!! 😍
Dieses Buch kommt auf jedem Fall auf meine Liste! 

LG, Carmen 

PS: Bald kann ich bei amazon Deutschland bestellen 🤗

Antw.: [Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy

Antwort #6
das hört sich ja ganz fabelhaft an!
dank deiner ausführung steigt die vorfreude auf das buch umso mehr!

da ich noch bei bowieodyssey74 bin und 75 den stardustschen haushalt noch nicht erreicht hat, kann ich sternenmenschen wunderbar dazwischen lesen!

ich war schon immer ein outside fan!

witzigerweise hatte ich mir kürzlich in brighton ein kraftwerk buch von uwe schütte in englisch gekauft und wusste zu dem zeitpunkt nicht, dass er der selbe autor ist!
auch das godstar buch über genesis p orridge klingt vielversprechend!

danke für den tollen bericht reinhold!

Antw.: [Buch] Sternenmenschen: Bowie in Gugging von Uwe Schütte und Christine de Grancy

Antwort #7
„I‘d rather stay here / With all the madmen”

Ein edierter Auszug aus Uwe Schüttes „Sternenmenschen. Bowie in Gugging“
Von Redaktion literaturkritik.de

https://literaturkritik.de/schuette-sternenmenschen-titel,31303.html

Reinhold

 
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